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Fabienne Keller

Leben und arbeiten in Kolumbien

Im Mai startete für Fabienne Keller das Abenteuer «leben und arbeiten in Kolumbien». Für ein halbes Jahr durfte sie in den Alltag eintauchen und die südamerikanische Destination von einer anderen Seite kennen lernen. Dieses vielseitige Land mit seinen herzlichen Menschen liegt ihr seither sehr am Herzen - Hasta la próxima Colombia!

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Kolumbien - das Risiko ist, dass du bleiben willst

«Der Frieden zerreisst Kolumbien» , «Kolumbien und FARC vereinbaren Waffenruhe unter UNO-Aufsicht», «Drei mögliche Zika-Tote in Kolumbien», «Kolumbien am Abgrund», «Ich habe nie Kokain probiert».

Diese Schlagzeilen erscheinen bei der Eingabe «Kolumbien» auf tagesanzeiger.ch. Die ersten fünf Zeitungsartikel fassen ziemlich gut zusammen, was wir hier in der Schweiz über Kolumbien zu lesen bekommen. Die Themen wiederholen sich: Drogen, Krieg, Guerilla, Friedensverhandlungen und aktuell das Zika-Virus. Dass wir hier in der Schweiz solche Begriffe mit Kolumbien verknüpfen, ist also kein Zufall. Wie sollen wir uns ein positives Bild über ein Land schaffen, wenn wir hier fast ausschliesslich negative Zeilen darüber zu Lesen bekommen? Am besten setzen wir uns in ein Flugzeug nach Kolumbien und machen uns selber ein Bild vor Ort. So lernen wir die andere Seite des Landes kennen – ein eindrückliches Land voller Schönheit und Vielfältigkeit mit sehr herzlichen Menschen.

Da mir persönlich Land und Leute sehr am Herzen liegen, werde ich meine Erfahrungen mit Ihnen teilen. Es geht mir nicht darum, alles schön zu reden, denn auch ich sehe Dinge kritisch. Kolumbien hat aber definitiv mehr zu bieten als Kokain, Korruption und Krieg.

Erster Eindruck

Vor meiner ersten Reise nach Kolumbien ahnte ich noch nicht, wie sehr mir Land und Leute ans Herz wachsen würden.

Ziemlich unvorbereitet reiste ich vor mittlerweile 2.5 Jahren das erste Mal nach Kolumbien, um dort zwei Monate zu verbringen. Nach einigen Wochen in der Hauptstadt Bogotá, flog ich weiter nach Leticia, ein kolumbianisches Städtchen im Amazonasgebiet des Länderdreiecks Kolumbien, Brasilien und Peru. Nach einer Woche im Dschungel ging‘s weiter an die tropische Karibikküste nach Santa Marta, um mich dort auf die Spuren von «Ciudad Perdida» zu begeben. Die Reise führte mich weiter nach Cartagena, in eines der schönsten Kolonialstädten Südamerikas und anschliessend in die zweitgrösste Metropole des Landes, nach Medellín. Neben der eher seltsamen Sehenswürdigkeit «Grab des Drogenbarons Pablo Escobar», erwartet einem eine Stadt mit einer äusserst interessanten Geschichte und Entwicklung. 

Nach einem Abstecher in die bekannte hügelige und grüne Kaffeeregion Kolumbiens, ging‘s langsam über Bogotá zurück in die Schweiz.

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Eine spannende Herausforderung

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Dass ich eines Tages in der Hauptstadt Bogotá leben würde, hatte ich mir bei diesem ersten Aufenthalt im besten Sinne nicht ausdenken können. Die «Monsterstadt», wie ich sie gerne nenne, zählt fast 10 Millionen Einwohner und hat unglücklicherweise keine Metro. Dies sagt bereits vieles über die Stadt aus: Chaos auf den Strassen, Lärm, Luftverschmutzung und doch einige «Gefahren» prägen die Hauptstadt. Nicht zu unterschätzen für jemanden, der in einem ruhigen tessiner 800-Seelendorf aufgewachsen ist. Und doch kam es dazu, dass ich vor genau zwei Jahren im Mai 2014 nach Bogotá flog, um dort ein halbes Jahr zu leben und zu arbeiten. Mit unserer Partneragentur Kontour Travel vereinbarte ich, dass ich während sechs Monaten vor Ort an einem Projekt arbeiten würde. Für die Best of Travel Group, einem Zusammenschluss von unabhängigen Reiseveranstaltern von verschiedenen Ländern Europas, zu dem auch Dreamtime Travel gehört, durfte ich während meines Aufenthalts in Bogotá zudem die Katalogseiten für Kolumbien erstellen, was eine sehr spannende Herausforderung war.

Das Büro von Kontour Travel liegt an der Calle 85 in der Zona Rosa, einem gehobenen Stadtviertel Bogotás, mit zahlreichen Restaurants, Bars und Einkaufsmöglichkeiten. Im kleinen aber feinen Büro von Kontour Travel arbeiteten damals drei Festangestellte und teilweise Georg Rubin, der Gründer der Reiseagentur. Der Reiseveranstalter ist spezialisiert auf individuelle Rundreisen durch Kolumbien.

Kontour Travel befand sich damals mitten im Prozess einer Nachhaltigkeitszertifizierung, welche sie im 2015 erfolgreich abschlossen. Das Unternehmen ist nun stolzer Besitzer eines „Certificado de Calidad Turistica“ und arbeitet gemäss dem Standard des Tourismusministeriums Kolumbiens. Dreamtime Travel wurde im März 2016 erfolgreich TourCert zertifiziert, dem Siegel für Nachhaltigkeit und Unternehmens-Verantwortung im Tourismus. Dabei wird u.a. die Nachhaltigkeit unserer Partneragenturen vor Ort unter die Lupe genommen.

Gewohnt habe ich im Stadtviertel Galerías, einem tagsüber sehr belebten Händlerviertel. In der Wohngemeinschaft lebten nebst einer Kolumbianerin, zwei Deutschen, einer Mexikanerin und mir auch zwei äusserst unterhaltsame Papageien, eine illegale Schildkröte und zwei exotische Vögel. Andere Touristen habe ich in diesem Quartier während meinem Aufenthalt nie gesehen, es gibt nicht wirklich einen Grund ins Stadtviertel Galerías zu fahren. Schlafende Obdachlose vor der Haustüre gehören dort zum Alltag. In Gefahr oder bedroht habe ich mich trotzdem nie gefühlt. Im Gegenteil, ich wurde stets freundlich vom Bäcker und Mechaniker nebenan begrüsst. In der Metropole Bogotá gibt es, wie auch in den meisten anderen Städten auf dieser Welt, gewisse Regeln bezüglich Kleinkriminalität und Verkehr zu beachten. 

Um den Weg zur Arbeit zu bewältigen, habe ich zu Beginn den Transmilenio benutzt, ein System von Schnellbussen mit eigenen Fahrspuren, mit Überholspur und angehobenen Haltestellen, deren Türen sich erst bei Ankunft des Busses öffnen. Eigentlich ein kluger Ansatz um den öffentlichen Verkehr zu verbessern, vor allem nach 30 Jahren erfolgloser Planung einer U-Bahn. Aber wie genau soll der Transmilenio 10 Millionen Menschen quer durch die Stadt führen? Eben, eigentlich ein kluger Ansatz. Nachdem ich zu Beginn meines Aufenthalts täglich erfolgreich in die Busse rein- und rausgestiegen bin (oder mich eben auch mal «rein- und rausgeboxt habe») wurde mir schnell klar, dass eine bessere Lösung her musste.

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Fahrradfahren in Bogota - ein Adrenalinkick

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Bogotá sei eine ausgezeichnete Stadt zum Fahrradfahren, mit sehr guten Fahrradwegen, sagt man. Das Fahrrad, der Helm und der Mundschutz waren organisiert und so fuhr ich nun täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit. Wer sich dabei einen ruhigen Arbeitsweg vorstellt, täuscht sich - der Adrenalinkick hat definitiv nie gefehlt. Regeln folgen tut man auf den Strassen lieber nur begrenzt, sonst dauert die Fahrt gerne doppelt so lange und die Unfallgefahr ist auch deutlich höher. Aber das kennt jeder, der mit einem Mietwagen in Südamerika oder auch nur in Italien unterwegs war Lächelnd. Deutlich angenehmer waren hingegen die Fahrten am Sonntagmorgen auf der Ciclovía. Dabei werden für mehrere Stunden zahlreiche Strassen in Bogotá für den Verkehr geschlossen und die Strassen stehen für Fussgänger, Fahrräder, Rollerblades, Skateboards und Hunde zur Verfügung. Was mir in Bogotá und im Rest des Landes besonders aufgefallen ist, sind die unzähligen Strassenverkäufer und -künstler. Verkauft wird grundsätzlich alles, was produziert werden kann. Nebst Süssigkeiten, Getränken, Zigaretten und ein paar interessante Dingen wie z.B. Staubwedel, Schnürsenkel, „Minutos“ (Minuten zum Telefonieren), werden selbstverständlich auch kolumbianische Fussballtrikots mitten auf der Autobahn verkauft. 

 

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WM - Fair-Play-Trophäe geht an Kolumbien

Da machte ich doch gleich einen kurzen Abstecher zur Fussball WM, welche während meinem Aufenthalt in Kolumbien in Brasilien stattfand. Stolz, Loyalität, Freude und Fair Play haben einen Monat lang das Land und die Menschen in Kolumbien begleitet. Dass Kolumbien für einmal nicht wegen negativen Schlagzeilen, sondern wegen einer «Fair-Play-Trophäe» erwähnt wurde, bereitete auch mir grosse Freude. «WM - Fair-Play-Trophäe geht an Kolumbien» – hiess es plötzlich in den Zeitungen. Die WM wurde von den Kolumbianern mit viel Herzblut gelebt und gefeiert. Dabei im Büro zu arbeiten war eine etwas weniger einfache Angelegenheit, wurde doch Non-Stopp auf den Strassen gehupt und laut gefeiert. Vor allem während den Kolumbien Spielen herrschte Ausnahmezustand, die gesamte Stadt war lahmgelegt. Bis ins Viertelfinale wurde mit Freude gespielt, einfach grosses Kino!

Reise durchs Hinterland

Während meinem Aufenthalt in Kolumbien hatte ich die Möglichkeit, während zehn Tagen Kunden von Kontour Travel auf einer Rundreise von Bogotá nach Cartagena als Übersetzerin zu begleiten. Das deutsche Paar hatte sich auf dieser Reise eine lokale Reiseleitung und eine spanisch-deutsche Übersetzung gewünscht. Die Kundin sprach und verstand zwar etwas Spanisch, doch war ihr Ehemann mit der Sprache nicht vertraut. Hiermit komme ich zu einem doch wichtigen Aspekt bei Rundreisen durch Kolumbien: die Sprache. Nur einen Bruchteil der kolumbianischen Bevölkerung spricht Englisch, dies vor allem in der Hauptstadt Bogotá und an den touristischen Orten wie z.B. an der Karibikküste im Norden des Landes. Bei geringen Spanischkenntnissen empfiehlt es sich daher mit einer Reiseleitung unterwegs zu sein, vor allem wenn man durchs Hinterland, abseits der Touristenpfade reist. Unterwegs waren wir mit einem Jeep, welcher von der lokalen Reiseleitung gefahren wurde. Die Reiseroute entspricht im Grossen und Ganzen der Dreamtime Travel Natur- und Kulturrundreise «Kolumbien – Unentdecktes Juwel». Die Reise führte uns von der Hauptstadt durchs Hinterland an die Karibikküste, vorbei an den sehr authentischen und schönen Kolonialstädte Villa de Leyva und Barichara, durch den «Cañon del Chicamocha», auf den Fluss Rio Magdalena und vorbei am magischen Städtchen Mompox.

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In diesem Städtchen kann man sich unter anderem auf die Spuren des berühmten Schriftstellers Gabriel García Marquez begeben. Was mich hier auch beeindruckt hat, ist dass ich innerhalb weniger Stunden einige paar sehr interessante Menschen kennen lernte, u.a. einen ausgewanderten Kanadier mit vier verschiedenen Start-Ups, einen Arzt ohne Kundschaft, einen ehemaligen Guerilla-Soldat und weitere Persönlichkeiten, welche sich fast täglich auf dem Hauptplatz treffen. 

 

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Die Flussfahrt auf dem Río Magdalena von Barrancabermeja nach El Banco war eine tolle Abwechslung zu den zahlreichen Autostunden und ein einmaliges Erlebnis, vor allem wegen des starken Gewitters und den Wellen. Erwartet hat uns keine Luxusyacht, sondern ein einfaches, kleines und zum Glück bedecktes Boot, welches täglich den Fluss auf- und abwärts fährt. Die Rede ist nicht von irgendeinem Fluss, sondern einem sehr wichtigen und damals auch gefährlichen Fluss. Damals! Heute werden der Fluss und die Dörfer am Flussufer gut bewacht. Man sollte nicht gleich vor lauter Angst vom Boot fallen, wenn ein Soldat oder Polizist mit Gewehr am Flussrand steht und plötzlich aufs Boot steigt. Uns hat er lediglich gefragt, ob wir alle eine Schwimmweste tragen. Kolumbien ist ein gut bewachtes Land, mit zahlreichen Polizisten und Soldaten auf den Strassen, in Einkaufszentren, Museen und überall. Man muss auch den positiven Aspekt sehen: die erhöhte Sicherheit. Es wird seit Jahren viel für die Sicherheit der Einwohner und der Reisenden gemacht und zwar konsequent.

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Je weiter wir in Richtung Norden fuhren, desto heisser wurde es. Kolumbien ist weniger durch die Jahreszeiten als durch die Klima- und Temperaturzonen geprägt. Auf dieser Rundreise sind die verschiedenen Klimazonen deutlich spürbar und so kommt es, dass wir nach den kühlen 18°C in Bogotá plötzlich in den 40°C in Barrancabermeja fast «verschmachteten». Eine Reise durch Kolumbien ist gleichzeitig eine Reise durch verschiedene Kulturen, Bräuche, Mentalitäten und Essgewohnheiten. Die Menschen in Bogotá sind im Vergleich zu den Einwohnern an der Karibikküste doch eher verschlossen und «gestresst». Bogotá wird auch nicht grundlos von Kolumbianer «Kühlschrank Kolumbiens» genannt. 

Wieso die Einwohner in Barichara auf «Hormigas culonas» (Ameisenhintern) stehen, was «Bocadillo» und «Panela» sind, wie eine Hochzeit ohne Gäste aussieht und wie amüsant ein Ausflug auf einer «Chiva Colombiana» ist, erfährt man am besten persönlich auf einer Reise nach Kolumbien! Nach ein paar erholsamen Tagen auf der kleinen tropischen Insel Múcura in der Nähe von Cartagena, war es Zeit in den Alltag von Bogotá zurückzukehren.

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Die Monsterstadt

Zurück im Büro,  erwartet mich wieder viel Arbeit und das tolle Team von Kontour Travel. Dass in Kolumbien alles etwas langsamer abläuft als hier in der Schweiz ist verständlich. Hier kann es uns nie schnell genug gehen. In Bogotá kurz auf die Bank gehen, um ein paar Zahlungen zu erledigen, geht nicht zack-zack. Rasch etwas mit den Leistungsträgern abklären, oft auch nicht. Es dauert alles etwas länger, fehlt es doch an Mitteln und manchmal an Organisation. Ich spreche hier von der gesamten Organisation im Land. Geduld - davon soll man auf jeder Reise nach Kolumbien genug mitbringen, denn die ist Gold wert!

Nach ein paar Monaten hatte ich mich doch irgendwie an die «Monsterstadt» gewöhnt und ihre schönen Seiten kennengelernt: das grosse kulturelle Angebot, die vielen grünen Parkanlagen, der beste Ausgang (mit viel Tanz), die gemütliche Altstadt La Candelaria mit ihren bunten Gässchen, die vielen farbenfrohen Graffitis und die lässigen Restaurants und Bars, das Stadtviertel Usaquén mit den verschiedenen Märkten, die leckeren Fruchtsäfte aus Milch oder Wasser im Markt Paloquemao und auf der Strasse, die Ciclovía am Sonntagmorgen, die Nachmittage und Abende am Tejo spielen, das durchaus anstrengende Power Yoga auf Spanisch, die Wochenendausflüge in die Natur ausserhalb der Metropole, der Ausflug auf eine kolumbianische Chiva, mit Freunden kolumbianische Gerichte kochen und gemütlich essen und vor allem die vielen tollen Bekanntschaften und Freundschaften, die all dies ermöglicht haben. Es waren äusserst aufregende, lehrreiche, emotionale und intensive Monate, die ich in Kolumbien und in Bogotá verbrachte. Ein tolles Land mit einem unglaublich lebensfrohen und liebeswürdigen Volk.

Gracias, Colombia!

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Mit Freunden auf einer Chiva

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Schmackhafte Fruchtsäfe

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Tejo spielen am Abend

Mai 2014